März 10, 2023

I’m Not Scared #4

"Silent Hill 2" - Die (Un-) Reproduzierbarkeit von Horror

Unter Liebhaber:innen des Horrorgenres ist Silent Hill sicherlich als eine der Videospielreihen bekannt, die einen besonders beeindruckenden und nachhaltigen Gruseleffekt erzeugen.
Wer einmal Silent Hill gespielt hat, wird diese Erfahrung so schnell nicht mehr vergessen, weshalb bis heute – und damit seit über einem Jahrzehnt – mit Spannung auf einen würdigen Nachfolger der Spielreihe gewartet wird. Den letzten Teil der Reihe veröffentlichte Konami mit Downpour im Jahre 2012 und war schon damals nicht das, worauf Fans eigentlich schon seit Anfang der 2000er warten.
Doch was ist so besonders an Silent Hill? Was macht es so schwierig, das einzigartige Spielgefühl erneut zu replizieren?
In diesem Beitrag fokussiere ich mich auf Silent Hill 2 (2001), um dieser Frage auf den Grund zu gehen.

Warum ist Silent Hill's Horror so effektiv?

Entscheidend ist hier, zu untersuchen, um was für eine Art von Horror es sich handelt und wie die Entwickler diesen auf ihre ganz spezielle, für damalige Verhältnisse revolutionäre Weise umgesetzt haben.
Silent Hill 2 spricht mithilfe von Story, Spielwelt, Charakter- und Sounddesign direkt die Psyche der Spieler:innen an und trifft diese somit genau dort, wo auch unsere Angst entsteht.

Diese Form von Horror – psychologischer Horror genannt – ist deshalb so effektiv, weil statt eher „plumpen“ Darstellungen von unheimlichen Begebenheiten, bei denen wir sofort identifizieren können, warum wir uns an entsprechender Stelle gruseln sollen, unser Unterbewusstsein involviert wird. Oft erwischt man sich selbst dabei, angespannt und verängstigt zu sein, obwohl gar keine akute Gefahr besteht und wir fragen uns vielleicht sogar, wovor wir uns eigentlich gerade fürchten. Videospiele, in denen psychologischer Horror angewandt wird, erzeugen nicht nur in speziellen Situationen Angst, sondern schaffen eine alles einnehmende Atmosphäre, die sich durch das gesamte Game zieht und einem kaum Möglichkeit gibt, sich zu entspannen.
In Silent Hill 2 sind es demnach auch nicht nur bestimmte, typische Orte und Szenarien, die den Gruseleffekt hervorrufen, sondern die gesamte Spielwelt, also die dem Spiel den Namen gebende Stadt Silent Hill, löst Unbehagen aus – selbst, wenn wir am helllichten Tag durch die Straßen laufen und kein Gegner in Sicht zu sein scheint.

Der Weg nach Silent Hill

Schon auf dem Weg in die Stadt zeigt Silent Hill 2 eindrücklich, wie es Gänsehaut verursachende Atmosphäre aufbaut.
Nachdem uns zu Beginn des Spiels über die Handlung nur so viel verraten wurde, dass die eigentlich verstorbene Frau der Hauptfigur James Sunderland uns einen Brief hinterlassen hat, in dem sie uns von ihrem angeblichen Aufenthalt in Silent Hill berichtet, folgen wir einem endlos wirkenden Pfad durch den für das Game charakteristischen, dichten Nebel, um ins Stadtinnere zu gelangen.
Zwar wird dieser Abschnitt durch eine Cutscene, in der wir den ersten, weiteren Charakter kennenlernen, unterbrochen – allerdings sind wir trotz dessen für ein Horrorvideospiel ungewöhnlich lange unterwegs, ohne, dass etwas Nennenswertes passiert.
Der bloße Fußweg nimmt einige Minuten Spielzeit in Anspruch, in denen wir von (relativer) Stille eingehüllt werden. Alles, was wir hören, sind unsere eigenen Schritte, ein paar nicht zuordenbare Geräusche, die nichts Gutes vermuten lassen und leise, mystische Musik im Hintergrund. 
Nicht nur durch die bloße Tatsache, dass wir so lange laufen müssen, bis wir uns zwangsläufig fragen, wann wir endlich unser Ziel erreichen oder ob wir uns schon verlaufen haben, baut sich also Spannung auf, sondern auch dadurch, dass wir genug Zeit haben, um Vermutungen anzustellen, was am Ende des Weges auf uns warten wird – und all das, während der dichte Nebel uns die Sicht versperrt und somit eine ständige Bedrohung darstellt, in der sich jederzeit eine unbekannte Gefahr verstecken könnte. Letztendlich werden unsere Befürchtungen bestätigt und wir erhaschen einen Blick auf das erste Monster im Nebel, wodurch sichergestellt wird, dass wir uns nicht auf der Annahme ausruhen, all der Spannungsaufbau wäre nur ein Stilmittel und würde nicht tatsächlich in eine brenzlige Situation führen.

Tragische Figuren

Die Charaktere, die James im Laufe des Spiels kennenlernt, tragen wenig dazu bei, seine Verwirrung (und damit die des/der Spielers/In) aufzuklären, sondern erwecken stattdessen eher den Eindruck, dass jede einzelne Person in dieser Stadt von Leid und einer schrecklichen Vergangenheit geplagt ist und verstärken somit die beklemmende, trostlose Atmosphäre.

Kein Entkommen vor dem Schrecken

Egal, welchen Ort in Silent Hill man besucht – es wartet nur Trostlosigkeit aufgrund der tragischen Figuren, Entsetzen aufgrund der surrealen, verstörenden Gegner und Ereignisse oder bedrückende Stille und Einsamkeit auf einen. Antworten bleiben fern und es entstehen nur weitere Fragen, weshalb unsere Unfähigkeit, das Geschehene zu begreifen, den Gruseleffekt am Leben hält.

 

 

"Pyramid Head"
"Mannequins"

Besonders irritierend ist dabei die Cutscene, in der wir das erste Mal auf Pyramid Head stoßen – den bedrohlichsten Gegner des Spiels, der uns die gesamte Zeit über zu verfolgen scheint und bis zuletzt unbesiegbar bleibt. Bei dieser ersten Begegnung versteckt James sich in einem Schrank und beobachtet Pyramid Head dabei, wie er offenbar mit anderen, grotesk gestalteten Monstern (Mannequins) sexuell involviert ist und sie dann tötet:

Nachfühlbare Gefahrensituationen

Auch abgesehen von Pyramid Head sind die Feinde in Silent Hill 2 verhältnismäßig schwer zu besiegen und Ressourcen wie Heilmittel und Munition sind knapp. Lange Zeit ist unsere einzige Möglichkeit, uns zu wehren, ein Brecheisen, mit dem wir den Monstern relativ nah kommen müssen, um sie auszuschalten.
Auch dieser Faktor trägt entscheidend dazu bei, dass wir Angst empfinden – denn, sobald wir uns den Gegnern unterlegen fühlen und das Vermeiden dieser sinnvoller bzw. sicherer erscheint, als sie zu bekämpfen (weil Letzteres durchaus damit enden könnte, dass unsere Spielfigur den Kürzeren zieht), entsteht eine nachvollziehbare (und vor allem nachfühlbare) Gefahrensituation.
Im realen Leben würden wir schließlich vermutlich auch eher davonlaufen, als uns einer solchen Situation zu stellen. 

Leser:innen, die sich letzte Woche bereits den Beitrag zu Resident Evil angeschaut haben, ist vielleicht aufgefallen, dass viele Spielelemente, die dort als Ursache für Grusel genannt wurden, auch hier erwähnt wurden: Flucht statt Angriff, unbesiegbare Gegner, die einen verfolgen und Mangel an Ressourcen.

So wie in dem erwähnten Beitrag zu Resident Evil nicht ausblieb, Silent Hill zu erwähnen, so kommt man auch hier kaum drumherum, die beiden Videospielreihen miteinander zu vergleichen.
Auch beim Sounddesign wurde in beiden Fällen darauf geachtet, dass abwechselnd Stille subtil an unseren Nerven zerrt und laute, unharmonische Musik ganz direkt dafür sorgt, dass unser Herz schneller schlägt.
Akira Yamaoka, der den Sound für die Silent Hill-Reihe entwickelt hat, antwortete in einem Interview auf die Frage, wie er Musik einsetzt, damit Spieler:innen Angst empfinden, wie folgt:

„The normal way is to use strong music for an attack scene or a surprise scene, but I normally use that type of music and also make sudden silences, too, or use very soft music. So I try not to make a pattern that the user will get used to. I want to make variations that users cannot anticipate.“

Im Making Of zu Silent Hill 2 stellte Yamaoka jedoch einen Unterschied zu Resident Evil fest: Während der Zombie-Survival-Horror eher auf bekannte, furchteinflößende Geräusche zuürckgreift, versuchte Yamaoka Sounds einzubauen, die der/die Spieler:in so noch nie gehört nie gehört hat.
Ähnlich wie beim Charakterdesign steht hier also die Surrealität im Mittelpunkt, die uns aufgrund der fehlenden Assoziation zu Situationen aus dem Alltag verwirrt und so Angst auslöst.

Reproduzierbarkeit schließt einzigartige Horroratmosphäre aus?

Was die Atmosphäre von Silent Hill von anderen Horrorspielen unterscheidet, ist außerdem, dass sie nicht einfach „nur“ beklemmend und düster ist – etwas, was wahrscheinlich viele Vertreter des Genres gemein haben – sondern, dass es so unangenehm und erdrückend ist, dass man an der ein oder anderen Stelle dazu geneigt ist, das Spiel auszuschalten, um für eine Weile aus dieser Welt auszubrechen und dem unbehaglichen Gefühl zu entgehen.
Hier wird also in Kauf genommen, dass der Spielspaß zumindest zeitweise zugunsten des Horroreffekts einbüßen muss.
Das wirft die Frage auf, ob sowas wie „der ultimative Gruselfaktor“, den die meisten Entwickler:innen von Horrorspielen vermutlich anstreben, möglicherweise wirklich nur dann zum Vorschein kommen kann, wenn eine der Hauptursachen für die Popularität von Videospielen, mit ihrer Hilfe der Realität entfliehen zu können, mehr oder weniger dadurch ausgelöscht wird, dass die Spielerfahrung eben nicht mehr angenehm ist und man sich in dieser virtuellen Welt ebenso wenig oder gar noch weniger aufhalten möchte.
„Wahrer Horror“ scheint hier also einen völlig neuen Reiz abseits von dem, was Gaming sonst attraktiv macht, zu schaffen. Spielelemente, die in anderen Genres für ein angenehmes Spielerlebnis sorgen sollen, wie z.B. eine raffinierte Spielmechanik, bei der man sein Können verbessern und unter Beweis stellen kann oder die Möglichkeit, sich durch weniger komplexe Aufgaben zu entspannen, werden hier durch ein leibhaftes Erleben und Empfinden von Angst ersetzt, durch das gerade bei psychologischem Horror wohl eine andere, einzigartige Form von Katharsis und Verarbeitung von eigenen Problemen stattfindet.

Letztendlich ist die Kombination aus der kreativen Story von Silent Hill als Stadt, in der sich Traumata in Form all der verstörenden Monster und Visionen manifestieren und der Atmosphäre, die so dicht und unbehaglich ist, dass sie ihresgleichen sucht, wohl der Grund, warum es kaum denkbar erscheint, einen würdigen Nachfolger zu erschaffen. Denn die Handlung trägt nunmal nur solange zum Gruseleffekt bei, wie wir sie nicht verstehen (und jeder Fan des Franchises hat diese mittlerweile durchschaut) und die Stimmung des Spiels ist so einzigartig, dass sie schon fast zu einzigartig ist – zumindest, wenn das Ziel sein soll, sie immer und immer wieder in Form von neuen Spielen zu erleben.
Ein weiteres Merkmal von „wahrem Horror“ scheint dementsprechend leider Gottes auch zu sein, dass es sich eben nicht endlos replizieren lässt – dass sich Reproduzierbarkeit und wirklich angsteinflößende Atmosphäre schon fast ausschließen – und manche Werke einfach für sich selbst stehen müssen.

Honourable Mention - Silent Hills: P.T.

Lange Zeit schienen sich sowohl das Entwickler-Team als auch die Fans mehr oder weniger mit dieser These abgefunden zu haben, bis 2014 Silent Hills: P.T. erschien – ein Teaser für einen weiteren Teil der Reihe, der aufgrund von internen Schwierigkeiten leider nie zustande kam.
Doch allein der Teaser, in dem wir uns in einem endlos erscheinenden Flur befinden und erst dann neue Schrecken aufdecken, wenn wir uns ganz genau umschauen und alle Puzzlestücke der verborgenen Geschichte zusammensetzen, löste eine Welle der Begeisterung aus. Infolgedessen entstanden eine Vielzahl von Horrorspielen, die eine ähnliche Atmosphäre mithilfe von einem von Silent Hills: P.T. inspirierten Spielaufbau schaffen wollten. Sie bedienten sich sozusagen einer deutlich erkennbaren Formel, die aus einer relativ begrenzten, sich wiederholenden Spielwelt bestand, in der einige unheimliche Ereignisse, plötzliche, unerwartete Veränderungen und Rätsel den Reiz ausmachen.
Das Franchise musste demnach nichtmal ein vollständiges Spiel veröffentlichen, um ein neues Genre an Horrorspielen ins Leben zu rufen, aus dem beispielsweise auch Games wie Layers of Fear (2016) und Deluded Mind (2018) hervorkamen.

Mit Silent Hill 2 ist die Atmosphäre in Silent Hills: P.T. allerdings trotzdem nicht zu vergleichen.

Die Zukunft von Silent Hill

Für die nächsten Jahre sind nun tatsächlich gleich drei neue Spiele (Townfall, Ascension und f) und ein Remake von Silent Hill 2 angekündigt worden. Die Trailer sehen vielversprechend aus, aber ob sie wirklich noch einmal das ganz spezielle Horrorfeeling von Silent Hill 2 erzeugen können, bleibt abzuwarten.

Klick auf das Bild, um zum Trailer für Silent Hill Townfall zu gelangen

Klick auf das Bild, um zum Trailer für Silent Hill Ascension zu gelangen

Klick auf das Bild, um zum Trailer für Silent Hill f zu gelangen

Klick auf das Bild, um zum Trailer für das Remake von Silent Hill 2 zu gelangen

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