März 7, 2023

Film-Tagebuch Nummer 3: Die Aussprache von Sarah Polley

Gesehen am 17. Januar 2023.

Filme über Frauen von Frauen, die aktuelle gesellschaftliche Themen wie Emanzipation, Geschlechteridentität oder patriachale Strukturen behandeln, erscheinen in den letzten Jahren immer mehr. Ende letzten Jahres kam beispielsweise She Said von Maria Schrader in den deutschen Kinos, der sich der journalistischen Vorgeschichte der #MeToo-Bewegung widmete. 

In diesem Eintrag meines Film-Tagebuchs soll es nun um Sarah Polleys (u.a. Take This Waltz) neustes Werk gehen, die ebenso eine besondere Geschichte über ein Frauen-Kollektiv erzählt. Wie diese feministischen Ansätze in Die Aussprache vermittelt werden, könnt ihr in meiner anschließenden Kritik nicht erfahren, da ich mir als cis* Mann keine eindeutigen Urteile erlauben möchte und kann. Ein paar kleine Gedanken und filmische Eindrücke möchte ich zu diesem Kammerspiel dennoch loswerden.

Anlässlich zum feministischen Kampftag am 08. März 2023 wird zu diesem Film kein inhaltliches Feature fokussiert, sondern Medien verlinkt, die sich mit Feminismus und Film auseinandersetzen. Nach der Kritik folgt demnach eine Liste von Filmen & Serien, Büchern, Podcasts und ähnlichem – vornehm von weiblich gelesenen Personen.

Die Aussprache (Women Talking, USA 2022: Sarah Polley)

In Sarah Polleys Film prangern die Frauen einer abgeschiedenen Religionsgemeinschaft die gewaltsamen und sexuellen Übergriffe der männlichen Gemeindemitglieder an. Die verschiedenen Mitgliederinnen treffen sich auf dem Heuboden der dörflichen Scheune, um zu diskutieren: Sollen sie nichts tun; bleiben sie in der Gemeinde und kämpfen; oder verlassen sie den Ort insgeheim? Und wie bringen sie ihre Lebensrealität in Einklang mit ihrer zutreffenden Entscheidungen?

© 2022 Warner Bros. Pct.

Frauen reden…

Die Aussprache hält, was (der deutsche wie der originale) Titel verspricht. Der Film ist als Kammerspiel inszeniert, das sich – ähnlich wie artverwandte Vertreter wie Die Zwölf Geschworenen oder The Man From Earth – einem gesellschaftlich-philosophischen Thema widmet und dieses seine Figuren mit abwechselnden Redebeiträgen austragen lässt. Die feministische Abhandlung wurde von Polley, die hier als Autorenfilmerin agiert, von dem Roman der kanadischen Schriftstellerin Mirijam Toews adaptiert. Die Basis bilden die realen Ereignisse einer mennonitischen Kolonie in Bolovien.

Auch ohne den Film gesehen zu haben, fällt der prächtig aufgefahrene Cast in das Blickfeld: Rooney Mara, Claire Foy, Jessie Buckley, Judith Ivey, Shella McCarthy und u.a. Frances McDormand dürfen sich in Die Aussprache Wortgefechte leisten. Bereits nach wenigen Minuten fällt einem der Original-Titel in den Sinn. Diese Frauen sprechen, denn sie haben etwas zu sagen. Und man hört ihnen zu. Neben der durchweg fabelhaften Schauspiel-Riege ist es nämlich Sarah Polleys Drehbuch zu verdanken, dass der Film sich niemals in den lebhaften Diskussionen verirrt und das Thema aus den Augen verliert. Und gleichzeigt ist der angesprochene Cast niemals Unterworfener der Zeilen – die Figuren zeigen Wut, Verzweiflung, Trauer und schließlich wieder innere Verbundenheit, Warmherzigkeit und Humor.

Während die Schauspielerinnen un der Inhalt eine Symbiose eingehen, nimmt sich die Inszenierung und damit insbesondere die Kamera angenehm zurück. Sie nimmt die Gesichter der Frauen wahr – mal von der Nähe, mal mit mehr Distanz. Auffällig ist als einziges das inszenatorische Motiv des Bird’s Eye View. Vermehrt werden Szenarien von oben gefilmt und symbolisieren damit zusätzlich den Konflikt mit dem Glauben, der die Sinnprägung und damit den behandelten Konflikt der Frauen umgibt. Der Score der isländischen Komponistin Hildur Guðnadóttir gehört wohl zu den besten des Jahres – ihre Töne sind sinnlich und kraftvoll zugleich, und katalysieren so den Blick der weiblichen Gemeindemitglieder.

© 2022 Warner Bros. Pct.

Mehr als eine Diskussion

Die Aussprache begeht nicht den Fehler, nur Figuren zu inkludieren, die cis*geschlechtlich sind. Der Charakter Melvin scheint zwar nur eine Randfigur zu sein, allerdings porträtiert Schauspieler August Winter nicht nur im Film einen trans* Mann, sondern repräsentiert dies auch in der Realität. Dieses verbindende Unterfangen mündet schließlich in einer emotionalen Szene, bei der die Frauen seinen Namen nennen (und eben nicht Deadnaming betreiben). Ein wenig ratlos lässt jedoch der von Ben Whishaw gemimte Charakter August zurück, der hier gewissermaßen als Notar für die Debatte fungiert. Zwar werden ihm nicht viele Redeanteile gewährleistet, allerdings lenken die Behandlung dieser stets in eine didaktische Richtung, die lediglich die Symbolkraft des Frauenbündischen untermauern soll (Frage also: Hätte es auch mit der vollständigen Abwechsenheit von cis* Männern funktioniert?). Auch wenn die Geschichte diesen ,radikaleren’ Weg nicht geht, versucht Die Aussprache dann noch eine romantische Beziehung zwischen Ona (Rooney Mara) und August zu forcieren, die unpassend erscheint.

Inhaltlich vermag man als Mann nicht urteilen, inwiefern Gesagtes und Gezeigtes zu bewerten ist. Dass dieses filmische Bild auch unsere Realität umgibt, ist sowieso nicht zu verneinen. Dann sollte man sich im Kinosaal aufsetzen und zuhören, während diese Frauen reden.

Fazit

8/10

Die Aussprache von Sarah Polley ist nicht nur ein wichtiger Film, weil er ein wichtiges Thema aufbereitet. Die Aussprache ist nicht nur ein guter Film, weil er dieses Thema gut erzählt und inszeniert. Er ist beides, weil er ist, was er ist. Frauen reden – wir hören zu.


Feminismus und Film:
Eine Liste zu Film, Literatur & Co.

Spielfilme

Corinne Marchand und die Spiegelung (Cléo from 5 to 7)
Die Mädchenbande (Girlhood)

Neun Leben hat die Katze (DE 1968, Ula Stöckl)

Cléo from 5 to 7 (FRA 1962, Agnès Varda)                           Dieser melancholische Film der von Männern dominierten Nouvelle Vague erzählt den Alltag einer besorgten Sängerin. Die Autorenfilmerin Varda zählt mit diesem Frühwerk als Vorreiterin der feministischen Filmkunst.

Girlfriends (USA 1972, Claudia Weill)

Jeanne Dielman, 23 Commerce Quay, 1080 Brussels (FRA/BEL 1975, Chantal Akerman)

The Piano (USA 1993, Jane Campion)

Beau Travail (FRA 1999, Claire Denis)

Girlhood (FRA 2011, Céline Sciamma)                                   Ein Coming-Age-Film über eine Gruppe von Mädchen, die in ärmlichen Verhältnissen aufwachsen. Sciammas feinfühlige Werke sind geprägt von Fragen nach Geschlechteridentität und Feminismus.

Lady Bird (USA 2017, Greta Gerwig)

► The Assistant (USA 2019, Kitty Green)

Promising Young Woman (USA 2020, Emrald Fennell)

Titane (FRA/BEL 2021, Julia Ducournau)


Dokus und Serien

Baby I will Make You Sweat (DE 1994, Birgit Hein)

Step Up and Be Vocal (USA 2001, Ortmann/Breedlove)

RBG (USA 2018, West/Cohen)                                                                              Ein Porträt über Ruth Bader Ginsburg, die als zweite Frau überhaupt am Supreme Court diente und im Zuge dessen an zahlreichen Urteilen zu Frauenrechten beteiligt war.

Digital Warriors – Frauen, die die Welt verändern (DE 2022, Kolb/Richter)

 

Supreme Court mit Ruth Bader Ginsburg (RBG)
Nächtliches Gezwitscher (Tuca & Bertie)

                        ► Fleabag (2016-2019)

                        ► The Handmaid’s Tale (seit 2017)

                        ▼ Tuca & Bertie (2019-2022)                                                                             Diese Animationsserie erzählt von der Freundschaft                                     zwischen zwei Vögeln, die von Tiffany Haddish und                                     Ali Wong gesprochen werden.

Literatur

Women, Movies, and the American Dream (1973, Marjorie Rosen)

The Monstrous-Feminine. Film, Feminism, Psychoanalysis (1993, Barbara Creed)

▼ Visuelle Lust und narratives Kino (1994, Laura Mulvey)                            In diesem berühmten Essay über Frauen und Film prägt Filmtheoretikerin Mulvey den Begriff des male gaze. Es geht um die patriarchalische Ordnung und wie sie im Kino 1930er bis -50er wiederzufinden ist.

Autorin Laura Mulvey

Chick Flicks (1998, B. Ruby Rich)

Film-Genus. Gender und Genre in der Film-Wahrnehmung (2008, Andrea B. Braidt)

Film Bodies: Gender, Genre, and Excess (2012, Linda Williams)

Female-Gaze: Essential Movies Made by Women (2018, Alicia Malone)

Queerness als travelling concept im (Coming-of-Age-)Horrorfilm (2020, Lioba Schlösser)

Black Women Directors (2022, Christina N. Baker)

Ausgabe 69: Frauen Film Arbeit

 Frauen und Film                                                

Diese femnistische Film-Zeitschrift wurde 1973 gegründet und produziert seitdem in unregelmäßigen Abständen journalistische Ausgaben zu den Themen Kino, Politik und Feminismus. Das Blatt gilt als einzige feministische filmtheoretische Zeitschrift in Europa. ,,Die Autorinnen befassten sich mit dem herrschenden Kino, den praktischen Bedingungen von Filmproduktionen sowie der Ausbildungssituation. Vor allem setzte sich die Redaktion kritisch mit Sexismus in Film und Fernsehen auseinander und entwickelte eine feministische Filmkritik”, heißt es auf der Webseite des Magazins.  

Sonstiges


Podcasts:

Girls on Film (Link)

Black Girl Film Club (Link)

Queer Movie Podcast (Link)

Bechdel Test                                                                                            Der Bechdel-Wallace Test wurde 1985 in Alison Bechdels Comic eingeführt und  überprüft Filme daraufhin, inwiefern Frauen in diesen repräsentiert sind. Dabei gilt es, drei Kriterien zu erfüllen: 1.) Es müssen mindestens zwei Frauen in dem Film vorkommen; 2.) Diese müssen miteinander reden;                                          3.) Und zwar über etwas, dass nichts mit einem Mann zu tun hat.

Eine Datebase mit allen, mittels des Bechdel Tests überprüften Filmen gibt es hier.

Trinity Syndrome

Dass nicht jede Frauenfigur in einem Film für Emanzipation steht, beschreibt Tasha Robinson in ihrem Artikel.

Das Trinity Syndrome wurde nach dem (Neben-)Charakter Trinity (gespielt von Carrie-Anne Moss) aus dem Spielfilm Matrix (1999, Wachowskis) benannt. Dieser Charakter gibt zwar vor, eine starke Frauenfigur abzubilden, aber agiert nur im Sinne des eigentlichen, männlichen Akteurs, so die Autorin. Dieses ,Syndrom’ lasse sich auf zahlreiche Filme anwenden.

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