Februar 23, 2023

I’m Not Scared #2

"MOTHERED" - spielst du das spiel oder spielt das spiel mit dir?

Das 2021 von Enigma Studio entwickelte Videospiel „Mothered“, welches sich selbst als „role-playing horror game“ bezeichnet, zeigt eindrücklich, wie Writing, Spielmechaniken und Charakterdesign dazu beitragen, dass das gewünschte Angstgefühl eintritt.

Handlung

Über seine Handlung verrät das Spiel erstmal nicht viel – und das ist bereits Teil des Horrors.

Alles, was wir wissen, ist, dass wir offenbar eine schwere Operation hinter uns haben und von unserem Vater nach Hause gebracht werden, um uns dort auszukurieren und viel Zeit mit „Mother“ zu verbringen:

Spielmechanik

Zuhause angekommen, sind die spielmechanischen Möglichkeiten begrenzt. Der/die Spieler:in kann simple Aktionen ausführen, sich in der relativ streng abgesteckten Umgebung bewegen und mit einer Auswahl an Gegenständen interagieren. Dabei sind die Interaktionstexte genauso simpel und monoton wie die Steuerung selbst – ein erstes Indiz auf die tieferliegende Botschaft des Spiels, die im weiteren Verlauf enthüllt wird. 

"Uncanny Valley"

Schon bei unserer ersten Begegnung mit „Mother“ merken wir, dass etwas nicht stimmt. Die von Masahiro Mori entwickelte Hypothese des „Uncanny Valley“ sorgt hier für Grusel: Wir erkennen, dass die Figur menschliche Züge hat, nehmen aber dennoch den Widerspruch und das Unnatürliche wahr.

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Im Fall von “Mothered” stellt sich Uncanny Valley in Form von maschinellen Bewegungen, computerähnlichen Tönen, die eine natürliche, menschliche Sprache ersetzen und dem verzerrten Äußeren unserer Spielmutter dar. Generell sind die Texturen “lehmartig” – sie scheinen zwar die Realität replizieren zu wollen, jedoch sind sie weit von den technischen Möglichkeiten unserer Zeit entfernt und erinnern den/die Spieler:in bewusst daran, dass es sich um ein Videospiel handelt.

Spielwelt und Writing

„Mother“ führt uns durchs Haus und der/die Spieler:in wird mit einer Vielzahl an verbotenen Räumen und seltsamen Umständen konfrontiert, die noch zusätzlich zur Verwirrung beitragen. Das Spiel macht es unmöglich, zu verstehen, was genau hier vor sich geht und sorgt somit dafür, dass wir uns fürchten.

Obwohl erstmal nichts Außergewöhnliches zu passieren scheint, erschafft das Spiel dabei durch intelligenten Einsatz von Licht und Schatten, sowie beunruhigender musikalischer Untermalung eine dichte, unheimliche Atmosphäre. Das Gefühl, dass etwas im Dunkeln lauert oder die Dinge jeden Moment eskalieren, wenn auch nur eine kleine Pause zwischen den Worten unserer Mutter entsteht, zieht sich durch das gesamte Spiel.

Eine Szene sorgt dabei besonders für Gänsehaut: Wir betreten unser Zimmer, um schlafen zu gehen, doch werden mit einer der typischen, lapidaren Textmeldungen davon abgehalten: „Du kannst nicht schlafen, wenn jemand in deinem Zimmer ist.“

Dabei sorgt nicht nur die Erkenntnis, dass man nicht allein in dem dunklen Raum ist, für Unbehagen, sondern auch die kühle Art und Weise, wie die Spielfigur mit dieser Situation umgeht. Der Fokus scheint einzig und allein darauf zu liegen, die Aufgabe (in dem Fall Schlafen) zu erfüllen.

Immersion durch Meta-Kommentare

Als Spieler:in bleibt einem trotz allem nichts anderes übrig, als unsere Aufgaben weiterhin zu erfüllen.

Je banaler die Aufgabe, desto mehr fragt man sich, was das alles soll – statt Antworten zu bekommen, die den Horror schnell abmildern könnten, entstehen nur mehr und mehr Fragen. Der Entwickler Enigma Studio lässt beim Writing darüberhinaus immer wieder Meta-Kommentare einfliessen, die sich direkt an den/die Spieler:in richten. Anspielungen auf medieninheränte Eigenschaften des Videospiels – das Erfüllen von Aufgaben, um weiterzukommen, die Akzeptanz der Regeln, die im Spiel gelten, ohne sie groß zu hintferfragen oder das Fehlen sinnlicher Erfahrungen wie zB. Duft etc. sorgen für einen neuen Blickwinkel auf die Handlung.

Die Erfahrung wird extrem immersiv, da das Spiel nicht mehr darauf angewiesen ist, dass der/die Spieler:in vergisst, dass es sich um ein Spiel handelt. Im Gegenteil: Es macht sich genau diese Erkenntnis zunutze und sorgt dafür, dass man sich als Individuum selbst angesprochen fühlt. 

Das Bewusstsein über das Steuern einer Spielfigur wird Teil des Horror-Erlebnisses. 

Um diesen Aspekt zu unterstreichen, werden die Aufgaben immer absurder und es entsteht das Bedürfnis, sich dagegen zu wehren, doch die Handlung schreitet nur voran, wenn man den Regeln folgt:

Die Spielwelt bricht auseinander

Während „Mother“ uns mehr und mehr Hinweise gibt, scheint die Spielwelt langsam auseinander zu brechen. Je näher wir der Auflösung kommen und je mehr wir verstehen, was bzw. wer wir sind, umso mehr kommt die vermeintliche Progammierung der Spielfigur an ihre Grenzen.

Unterdessen entwickelt sich die visuelle Darstellung von subtiler, düsterer Atmosphäre zu psychedelischen Farbverläufen, die den Höhepunkt des Spiels einläuten und Dank der Surrealität das Unwohlsein weiter am Leben erhalten. Der/die Spieler:in löst sich von ihrem „Core Objective“ bei Mutter zu bleiben und ihr zu gehorchen und erlangt stattdessen ein vollständiges Bewusstsein über unsere Identität und wie wir hierhergekommen sind.

Grusel über das Ende des Spiels hinaus

Letztendlich bleibt der Horror sogar über das Spiel hinaus, denn in der letzten Szene wendet sich der „Vater“ wieder unmittelbar an den/die Spieler:in. Die Handlung lässt offen, ob wir bzw. die Spielfigur sich wirklich von ihrem Schicksal befreien konnte, oder ob es sich um einen endlosen Kreislauf handelt und wir bloß durch die/den Nächste:n ersetzt werden, so wie der/die nächste Spieler:in das Spiel ebenfalls völlig unbefangen und ahnungslos erleben wird.

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