März 11, 2023

Modefotografie: Emanzipation oder Unterdrückung?

Modefotografien haben in der visuellen Kultur einen besonderen Stellenwert. Die Schaffung von Modebildern kann als fast identisch mit der kulturellen Schaffung des weiblichen Bildes angesehen werden. Das weibliche Bild, dass in der Gesellschaft als Norm akzeptiert wird, wird durch verschiedene Instrumente der Massenkommunikation geschaffen und verbreitet. Durch die Mode werden Kleider durch Körper, aber auch Körper durch Kleider inszeniert.

 

Abbildung 1: Herb Ritts, von links: Helena Christensen, Claudia Schiffer, Stephanie Seymour, Chrisy Turlington, Naomi Campell in Hollywood, 1993. (Quelle: https://www.eadielifestyle.com.au/products/captivate-fashion-photography-from-the-90s)

 

Die Mode verlangt, dass der weibliche Körper nie alt oder ungepflegt ausschaut. Das weibliche Geschlecht wird unter Druck gesetzt, einen schönen Körper zu haben und sich angemessen chic anzuziehen.

„The mastery and awareness of one`s own body can be acquired only through the effect of an investment of power in the body: gymnastics, exercises, muscle-building, nudism, the glorification of the body beautiful […] we find a new mode of investment which presents itself no longer in the form of repression but that of control by stimulation.“

(Entwistle 2000, 124)

Der Vermerk des Philosophen Michel Foucault macht deutlich, dass sich die Kontrolle über den weiblichen Körper verschoben hat. Während man ihn zu früheren Zeiten durch aktive Unterdrückung beherrschte, tut man es nun durch Investitionen in den Körper. Der globale Modemarkt, geprägt von Modemagazinen, populärer Kultur, visuellen Medien und seit dem neuen Jahrzehnt durch soziale Medien, bestimmen die Bildungsprozesse sozialer Identität. Auf der Grundlage von Mode und Körper, werden Frauen ermutigt sich nach gesellschaftlichen Vorstellungen und dem männlichen Blick zu bewerten und zu präsentieren.  Der französische Philosoph Roland Barthes, der die Darstellung von Modekleidung als soziales Phänomen beschreibt, behandelt Modekleidung als unveränderliches Element der Massenkultur, das durch Kommunikationsmittel verbreitet wird. Primär durch die Modefotografie, aber auch durch Massenmedien, werden den Konsumenten Lifestyles übermittelt, indem sie teilhaben können. Somit wird jeder, durch seine Körperlichkeit zum Model und Vertreter der Mode.

Modefotografie in den 1990ern

Die klassischen Modemagazine wie Vogue oder Harpers Bazaar gaben stilbewussten Frauen vor, wie sie sich zu kleiden haben, um den Idealbildern ihrer Zeit zu entsprechen. Ende der 1980er-Jahre entstanden neue Publikationen, wie das I-D oder Face Magazine, die sich im Kern von den üblichen Zeitschriften unterschieden und die Leser in ein anderes Verständnis von Mode einluden. Anstatt nur Trends und Idealbilder von Frauen und Männern der jeweiligen Ära zu vermitteln, setzten diese Magazine mehr Wert auf Themen wie Selbstverwirklichung oder Individualität.

Die Ausdrucksvielfalt verschiedener Magazine nahmen in den 1990er Jahren Einfluss auf die damaligen Modefotografen. Diese nutzen umfangreiche Techniken und vermittelten durch ihre variierenden Bildkompositionen unterschiedliche Auren. Bekannte Rebellen unter den Fotografen, waren Juergen Teller und Terry Richardson. Der in London sesshafte, deutsche Fotograf Juergen Teller nahm seine Fotos mithilfe der Point-and-Shoot Technik auf. Diese Technik, welche in Hinsicht auf die Kamera nicht sehr professionell, sondern alltagstauglich ist und für Schnappschüsse unterwegs entwickelt wurde, ermöglichte ihm, intime und nahbare Fotos der Models zu schießen. Von der Punkszene inspiriert, dekonstruierte er die Modewelt und veranschaulichte diese als brutal. Eine nennenswerte Person, die sich in dieser Zeit einen Namen als „Heroin Chic“ machte, ist Kate Moss.

Terry Richardson und Helmut Newton fotografierten die weiblichen Models auf unkonventionelle Art und Weise. Gelenkt von der sexuellen Revolution in den 1970er Jahren, stellten sie die Frauen in ihren Fotografien oft nackt und sexualisiert dar. Während die Kamera von Richardson als eine Erweiterung seiner Libido diente, wurden die Werke Newtons als pornografische Kunst eingestuft.

In den 1990er-Jahren war die Modewelt eine geschlossene Gesellschaft. Dies machte die Branche für außenstehende Menschen begehrenswert. Der peruanische Modefotograf Mario Testino machte diese Eigenschaft zu seinem fotografischen Merkmal. Er vermittelte mithilfe seiner Fotografien eine glamouröse und opulente Welt der Mode. Im Gegensatz zu den oben genannten Modefotografen verfolgte Peter Lindbergh eine alternative Vision. Seine melancholischen schwarz-weiß Fotografien machten seine entstandenen Werke unverwechselbar. Ungeschminkt, ausgezogen und natürlich standen für Lindbergh die Persönlichkeiten der Models im Vordergrund. Seine Beziehung zu ihnen war ein wesentlicher Schritt für die Entstehung des Supermodel-Phänomens der 1990er Jahre.

Das Phänomen der Supermodels 

Was die Modefotografie der 1990er-Jahre besonders attraktiv und ikonisch machte, war neben den Fotografen hinter der Kamera die weiblichen Akteure vor der Linse. In den früheren Jahrzehnten der Modegeschichte waren die Models grundsätzlich im Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit. Sie wurden unterschieden in Laufstegmodels, Commercial Models und Passformmodels. Nach der Veröffentlichung der Novemberausgabe der amerikanischen Vogue im Jahre 1988, fing die offizielle Ära der Supermodels an. Der deutsche Fotograf Peter Lindbergh hielt den Moment fest, in der sechs junge Frauen, bekleidet in weißen Hemden am Strand, in die Kamera lächelten. Dass die Editor-in-Chief der amerikanischen Vogue kurz davor ausgewechselt wurde, ist ein zusätzlicher Faktor für das Supermodel-Phänomen gewesen. Denn das Shooting mit Peter Lindberghs Fotos wurde von der neuen Chefredakteurin Anna Wintour ausgewählt. Unter der Bezeichnung des Supermodels wird ein kollektiv von Models verstanden, die bisherige Grenzen überschritten.

Die neuen Supermodels, zu denen unter anderem Chrisy Turlington, Cindy Crawford, Claudia Schiffer, Naomi Campell und Linda Evangelista gehörten, wurden weltweit für namenhafte Marken gebucht. Sie waren nicht nur auf dem Laufsteg, sondern auch in Magazinen, Musikvideos und im Fernsehen gesehen. Das Image der Supermodels als starke, junge und selbstbewusste Frauen mit der Kombination verschiedener Arten von Modefotografie, in Form von Polaroids, Fine Art Prints und Magazinen, führte zu einer Explosion an Kreativität. Für das Team der Art-Direktoren, Designer und Fotografen wurden höhere Budgets für Werbekampagnen zur Verfügung gestellt. Die Kampagnen expandierten auf globaler Ebene und verschafften den Supermodels den Starkult. Das Verlangen der Fotografen, mit Supermodels Kampagnen zu führen und sie abzubilden, wurde auch in Arthur Elgorts Fotos inszeniert. Die Models der 1990er wurden zum Bestandteil der Popkultur. Sie wurden durch George Michaels Musikvideo zu „Freedom“ und den großen Billboards, ein Teil der visuell geprägten Kultur des Jahrzehnts.

Ihre Gesichter wurden bis heute nicht vergessen. Sie werden noch heute als Supermodels bezeichnet und für ihr selbstbewusstes Auftreten gelobt. Auf Laufstegen großer Marken, wie Chanel oder Dior, machen sie Comebacks. Auch auf den Titelbildern der Vogue oder anderen Zeitschriften sind sie zu sehen. Dass ihr Kult noch nicht vorüber ist, ist auch daran zu erkennen, dass einige der Supermodels ihr Talent an ihre Kinder übergegeben haben. Beispiele hierfür sind die Töchter von Cindy Crawford und Nadja Auermann. Die Töchter verdeutlichen den Wandel von der Modefotografie der 1990er-Jahre in das Zeitalter der sozialen Medien. Kaia Gerber und Cosima Auermann sind junge Models einer neuen Generation, die ihr Portfolio auf der Plattform Instagram teilen.

Sexualisierte Darstellungen von weiblichen Models in der Modefotografie

In dem folgenden Foto porträtierte Herb Ritts Naomi Campell 1991 in einem Leopard-designtes Bodyset (Abbildung 2).

Abbildung 2: Herb Ritts, Naomi Campell, 1991. (Quelle: https://camerawork.de/artwork/herb-ritts-naomi-seated/)

Campell blickt mit einem neutralen, aber dennoch begehrenswertem Blick zum Betrachter. Ihre Pose ähnelt die einer Raubkatze. Ihre Hände sind am Boden gestützt und leicht angehoben, ihre Fingernägel lang und schwarz lackiert. Ihre Schuhe haben einen sehr hohen Absatz, sodass ihre Beine umso länger wirken. Naomi Campell sitzt auf einem Kissen, passend zu ihrem Outfit. Die schwarz-weiße Atmosphäre, ihr Blick und ihre Pose lassen sie wie ein Panther wirken. Ob dieses Motiv bewusst gewählt wurde, da Naomi Campell eine afrikanische Herkunft hat, ist umstritten. Jedoch scheint sie in dem Foto mit einer Raubkatze gleichgesetzt, gefährlich aber naiv, begehrenswert und schwer zu haben. Auffällig ist zudem, dass ihr Dekolleté und ihre Beine bewusst in Szene gesetzt sind.

Helmut Newton war einer der wichtigsten Modefotografen der 1960er bis zu seinem Tod in 2004 und fotografierte für Magazine wie Vogue, Harper’s Bazaar, Queen, Marie Claire, Elle und auch für den Playboy. Er war dafür bekannt, der Modefotografie einen provokativen und gewagten Look zu verleihen, indem er kontroverse erotische Kompositionen durch fetischistische Themen wie Voyeurismus, Dominanz und sexuelle Akte darstellte.

Abbildung 3: Helmut Newton, Nadja Auermann, Vogue America, Februar 1995. (Quelle: https://imgur.com/gallery/gAy5l/comment/400855452)

In der Modefotografie der 1990er kam es verbreitet vor, dass die Frau ausgehend vom Male Gaze, als sexuelles Objekt oder halbnackt dargestellt wurde. In Abbildung 7 wurde das Model Nadja Auermann 1995 von Helmut Newton für die amerikanische Vogue fotografiert. Auf dem Foto ist lediglich ihr weiblicher Unterkörper zu sehen. Sie lehnt sich mit gekreuzten Beinen an eine halbhohe Wand. Ihre Beine werden von durchsichtigen Overknee-Strümpfen und einem schwarzen kurzen Rock mit einem hinteren Schlitz bedeckt. Durch ihre Haltung wird ihre Hüfte verstärkt betont.

Die Models in Helmut Newtons oder Herb Ritts Fotografien werden als Verführung, Erotik und Objekt der männlichen Lust dargestellt. Die Camp-erotischen Darstellungen der weiblichen Models hat in der Modefotografie der 1990er Jahre zugenommen. Inspiriert durch die Subkulturen, unter anderem dem Aufschwung der sexuellen Revolution und der LGBTQ-Bewegung, wurden diese Motive auch in der Modefotografie widerspiegelt. Der Zweck der Erotik und pornographischen Darstellungen in der Modefotografie ist es, eine kollektive Begierde zu repräsentieren und den Betrachter zu verführen. Extrem dünne Models, dunkles Make-up und der Trend Wäsche als Oberbekleidung zu tragen sind einige Merkmale, die diese Darstellungen verstärken.

 

Quellen:

Entwistle, Joanne. The Fashioned Body: Fashion, Dress, and Modern Social Theory. Cambridge: Polity Press 2000.

Martineau, Paul. Icons of Style: A Century of Fashion Photography. Los Angeles: J. Paul Getty Museum 2018

Schiffer, Claudia. Captivate: Modefotografie der 90er. München: Prestel 2021.

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