März 24, 2023

I’m Not Scared #6

Das Problem mit der Darstellung von psychischen Krankheiten in Horrorspielen

! Triggerwarnung: Dieser Artikel umfasst Themen wie Suizid, seelische Traumata und andere schwierige Inhalte !

Wer bereits das ein oder andere Horrorvideospiel gespielt hat, der hat früher oder später sicherlich eine, durchaus fragwürdige Gemeinsamkeit bemerkt: Psychische Krankheiten – oder das, was Entwickler:innen daraus machen – dienen für das Genre auffallend oft als Inspiration.
Unzählige Spielwelten sind an grausame Versionen von psychiatrischen Einrichtungen angelehnt oder verändern sich je nach psychischer Verfassung der Spielfigur und unsere Gegner sind häufig der stereotypische Inbegriff von dem, was „Wahnsinn“ (“wahnsinnig” und “psychisch krank” sind im Genre fast schon synonym) in der uninformierten Vorstellung vieler zwangsläufig aus einem Menschen macht. Leider verstärken Horrorspiele so nicht selten das Stigma, welches ohnehin rund um dieses Thema besteht.
In diesem Beitrag soll aus diesem Grunde nicht bloß aufgezeigt werden, wie genau diese Stigmatisierung stattfindet und wie Horrorgames sich psychische Krankheiten zunutze machen, um den Gruseleffekt zu verstärken, sondern auch wie ein rücksichtsvoller Umgang mit eben jener Problematik aussehen könnte.

Repräsentation ist wichtig

Zuallererst sei erwähnt, dass die Repräsentation von psychischen Krankheiten in Medien – also auch in Videospielen – generell gut und wichtig ist.
Betroffene erkennen sich wieder und fühlen sich dadurch weniger allein. Für viele bedeutet das Durchleben einer solchen, eventuell von ihren eigenen Symptomen inspirierten Horrorgames, außerdem eine Form von Katharsis, die sie in keinem anderen Medium finden.
Allerdings wird es dann zum Problem, wenn falsche, schädliche oder gar gefährliche Vorurteile in der Gesellschaft geformt oder verfestigt werden, um ein möglichst spannendes oder schockierendes Spiel zu erschaffen, an dem sich letztendlich überwiegend Nicht-Betroffene ganz im Sinne des body genre ergötzen sollen.

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Ein Thema, das die Wissenschaft beschäftigt

Paul Hunt hat bereits vor ca. 30 Jahren Stereotype aufgelistet, die auch heute noch zur Darstellung von Menschen mit Behinderungen in Medien genutzt werden. Sie lassen sich leicht auf die Repräsentation von psychischen Krankheiten anwenden:

“[…] as pitiable or pathetic, An object of curiosity or violence, Sinister or evil, The super cripple, As atmosphere, Laughable, His/her own worst enemy, As a burden, As Non- sexual, Being unable to participate in daily life. “

Handelt es sich um das Genre Horror, finden wir dementsprechend viele psychisch kranke Figuren, die bösartig und gewalttätig sind, bemitleidet werden sollen oder deren Geisteszustand in Form von einer unheimlich gestalteten Spielwelt für gruselige Atmosphäre sorgen soll.
Je nach Genre werden so andere Stereotypen aus der Liste bedient.

2017 hat Kenny Fries darüberhinaus – in Anlehnung an den Bechdel-Test, der sich auf die mediale Abbildung von Frauen fokussiert – den Fries-Test entwickelt:

“Does a work have more than one disabled character? Do the disabled characters have their own narrative purpose other than the education and profit of a nondisabled character? Is the character’s disability not eradicated either by curing or killing?”

In Horrorspielen, die einen Plot verfolgen, sind psychische Krankheiten meist aufgrund ihres Konfliktpotenzials und ihrer (möglichen) Schockwirkung beliebt.
Psychisch kranke Figuren sind hier selten durch etwas anderes als eben jene Krankheit und dessen Auswirkungen definiert. Sie sind keine vielschichtigen Charaktere, die zufällig, neben all den anderen Eigenschaften, die sie ausmachen, auch eine entsprechende Diagnose bekommen haben oder Symptome zeigen, sondern sie und damit auch die Handlung werden überwiegend durch die Thematisierung der Krankheit vorangetrieben.
Die Darstellung der Symptome ist das, was für Angst sorgen soll und in vielen Fällen endet es, wie von Hunt und Fries angedeutet, damit, dass sie sterben, auf andere Weise ausgelöscht werden oder auf wundersame Art geheilt werden.

Tragische Enden sind ohnehin fast schon ein Muss in Horrorgames, jedoch kann dieser Umstand in Videospielen, die psychische Krankheiten aufgreifen, problematisch werden.
Allerdings gibt es oft je nach Spielweise und Entscheidungen, die getroffen wurden, schlechte und gute Enden („gut“ ist hier jedoch meist nur so etwas wie das geringste Übel) – wohlmöglich um zu veranschaulichen, dass es auch einen anderen Ausweg bzw. eine andere Lösung gibt.

Kompromisslose Darstellung in "Cry of Fear"

Cry of Fear (2012)

In Cry of Fear (2012) zum Beispiel kann der/die Spieler:in ganze fünf verschiedene Enden erreichen.
Das von Team Psykskallar ursprünglich als Mod des Ego-Shooters Half-Life (1998) entwickelte Horrorspiel erzählt die Geschichte von Simon, der sich nach einem Unfall in einer von Einsamkeit und furchteinflößenden Monstern heimgesuchten Welt wiederfindet.
Wie es sich für einen würdigen Vertreter des Genres gehört, wissen wir lange Zeit nicht, was es mit alldem auf sich hat und erfahren erst im Verlauf des Spiels, dass Simon, der schon zuvor von Depressionen und Angstzuständen geplagt wurde, nach besagtem Unfall im Rollstuhl sitzt. Die Monster, denen er begegnet, sind demnach wie in vielen anderen Horrorspielen (beispielsweise dem Horrorspielklassiker Silent Hill) Manifestationen seiner inneren Dämonen, denen er sich stellen muss und verkörpern durch ihr schauderhaftes Design die Schrecken, die sich im Verstand eines Menschen abspielen können.

In drei der erwähnten fünf Enden begeht Simon aufgrund seines geistigen und physischen Zustandes Suizid und bringt zuvor mindestens eine weitere Person um. Die Abschiedsbriefe, die der/die Spieler:in zum Abschluss des Spiels liest, strotzen vor Aggression und Verzweiflung.
Das vierte, als „gut“ deklarierte Ende unterscheidet sich insofern, dass Simon überlebt, allerdings in seiner Psychose zwei Polizisten nicht als das erkannt hat, was sie sind und sie deshalb erschießt.
Abgesehen von einem weiteren, geheimen Spaß-Ende, welches nichts mit der Handlung an sich zutun hat, verleitet jeder einzelne Ausgang des Spiels also zu dem Glauben, psychische Krankheiten treiben Betroffene entweder zu Gewalttaten oder ihr Leid könnte ausschließlich durch Suizid beendet werden. Selbst nachdem Simon in Behandlung war, um besser mit seinen quälenden Gedanken umgehen zu können, geht es ihm nicht besser oder (je nach gewähltem Szenario) sogar noch schlechter.

Ausschnitt aus einem von Simon's Abschiedsbriefen in Cry of Fear

Nicht nur in den letzten Minuten des Spiels wird Suizid thematisiert, sondern auch in Form eines Gegners namens The Drowned.
Dieses Monster nötigt den/die Spieler:in durch seine bloße Nähe dazu, sich die virtuelle, geladene Waffe an den Kopf zu führen und abzudrücken. Haben wir keine Munition und können dementsprechend keinen Suizid begehen, fangen wir stattdessen an, bitterlich zu weinen.
Das Entwickler-Team hat es mit Szenen wie dieser und einer allumfassenden, düsteren Atmosphäre geschafft, den/die Spieler:in nachempfinden zu lassen, wie sich Simons Erkrankung anfühlen muss und somit das Spielerlebnis selbst zur Repräsentation von Depressionen und Angstzuständen gemacht.
In letzter Konsequenz hat es also effektiv das umgesetzt, was es erreichen wollte – allerdings trafen sie damit die kompromisslose Entscheidung, psychische Krankheiten nicht bloß als trost- und hoffnungslos darzustellen und sich nicht an die Empfehlungen zur Abbildung von Suizid in Medien zu halten, sondern verstärkt auch das (nachweislich auf falschen Tatsachen beruhende) Stigma, Menschen mit solchen Erkrankungen seien gefährlich.

Fans des Spiels, die unter Depressionen und Angststörungen leiden, sind geteilter Meinung.
Sie berichten einerseits, dass Cry of Fear ihnen geholfen hat, ihre Probleme zu bewältigen – andere hingegen behaupten, sie können das Spiel nicht spielen, ohne von den dargestellten Ereignissen getriggert oder durch die düstere Atmosphäre tiefer in ihre Symptome abzurutschen.

Gefährliche Klischees

Rise of Insanity (2018) von Red Limb Studio trägt ebenfalls zu einer solchen Stigmatisierung bei.
Es handelt von dem Psychologen Dr. Stephen Howell und dessen Versuch, einen Patienten namens Eddie zu behandeln.
Letzterer berichtet von Gewaltfantasien und zeigt Symptome einer dissoziativen Identitätsstörung, was früher als multiple Persönlichkeit bekannt war und obwohl wir uns erst im Verlaufe des Spiels endgültig vergewissern können, wird dennoch ziemlich schnell klar, dass der Psychologe selbst von dieser Störung betroffen und Eddie eine unserer Identitäten ist.

Rise of Insanity (2018)

Als dieser haben wir unsere Frau und unser Kind auf brutale Weise ermordet, welches dem/der Spieler:in mithilfe einiger klischeebehafteter, Grusel hervorrufen sollender Szenen nahegebracht wird.
Unbehagen kommt hier allerdings vor allem deshalb auf, weil es sich mit dieser Darstellung selbst in einer langen Reihe von Horrorspielen, die dieses Thema ähnlich undifferenziert behandelt haben, auffällig stark im Ton vergreift.

Psychiatrische Einrichtungen als Ort voller Schrecken

Das trotz einer solchen, zweifellos zu kritisierenden Repräsentation von Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr beliebte und kommerziell erfolgreiche Horrorspiel

Outlast, welches 2013 von Red Barrels Games veröffentlicht wurde, könnte noch nicht einmal damit argumentieren, dass es nur einen Einzelfall dokumentiert.
Es spielt sich in einer Nervenheilanstalt ab, in der ein Whistleblower angebliche Experimente an den Patienten und Patientinnen aufdecken soll. Dort angekommen wird diese psychiatrische Einrichtung allerdings als Ort voller beängstigender und mordlustiger Patienten/Innen inszeniert, vor denen wir kontinuierlich fliehen müssen.

Outlast (2013)

Hier wird erneut das schädliche Klischee bedient, dass man sich psychisch erkrankten Personen besser nicht nähern und sich vor allem vor dem Betreten einer solchen Institution fürchten sollte.

Fantasiewelt oder Halluzination

In Fran Bow (2015) werden zwar einige der bereits erwähnten Problematiken vereint, allerdings macht es auch einiges richtig und zeigt nichtsdestotrotz ein ganz anderes, deutlich fundierteres Verständnis der zur Schau gestellten psychischen Krankheit(en).
Offiziell wird das Spiel als „creepy adventure game that tells the story of Fran, a young girl struggling with a mental disorder and an unfair destiny“ beschrieben, allerdings lässt es die Spieler:innen bis zuletzt daran zweifeln, ob die Protagonistin wirklich krank ist und sie sich die teils verstörenden, teils fantastischen Ereignisse und Wesen deshalb einbildet oder die gesamte Handlung eigentlich in einer fiktiven Welt stattfindet, in der solche Dinge möglich sind.
Nicht zu bezweifeln ist, dass das dem Spiel den Namen gebende Mädchen Fran Bow ein schweres Trauma erleben musste. Sie fand ihre brutal ermordet Eltern auf und landete daraufhin in einer psychiatrischen Einrichtung, die auch hier wieder überwiegend negativ und abschreckend dargestellt wird.
Obwohl der behandelnde Arzt uns zunächst wohlgesonnen scheint (was sich später im Spiel als richtige Annahme herausstellen wird), misstraut Fran ihm und kann an nichts anderes denken als aus der verhassten Anstalt auszubrechen. Sie trifft auf andere Patienten/Innen, deren Aussagen entweder ebenfalls vermuten lassen, dass sie sich an diesem Ort nicht wohlfühlen oder auf andere Weise darauf abzielen, uns einen Schauer über den Rücken laufen zu lassen.

Eines der wichtigsten Spielelemente ist darüberhinaus die Einnahme des Medikaments Duotine, mit dessen Hilfe wir eine andere, noch deutlich grauenhaftere Realität wahrnehmen können (und müssen, um weiterzukommen). Später stellt sich heraus, dass uns dieses nicht verabreicht wurde, damit es uns besser geht, sondern aufgrund der Experimente, die auch in dieser psychiatrischen Einrichtung an Patienten und Patientinnen vorgenommen werden.
Natürlich ist fairerweise zu erwähnen, dass sich in solchen Anstalten zu der Zeit, in der Fran Bow spielt (1944), tatsächlich einige kaum vorstellbare Verbrechen an der Menschheit zugetragen haben, aber dennoch lässt sich hier ein klares Muster erkennen, wie nicht nur psychische Krankheiten, sondern auch entsprechende Hilfsangebote repräsentiert werden.

Fran Bow (2015)

Sobald wir nun also wie besagt eine solche Pille eingenommen haben, verwandelt sich die Spielwelt in eine blutige, verstörende Version ihrer selbst – etwas, was aufgrund des Namens „Duotine“ und vielen weiteren Anspielungen, die allesamt auf Dualität oder Spaltung hinweisen, auch hier als Indiz für eine dissoziative Identitätsstörung aufgefasst werden kann.
Remor, eines der Monster, die uns im Laufe des Spiels immer wieder erscheinen und symbolisch für Frans innere Verzweiflung und dunkelsten Ängste steht, deutet außerdem darauf hin, dass wir selbst unsere Eltern ermordet haben könnten und dies, ganz dem klassischen Schema folgend, bloß verdrängt haben bzw. in einem durch unsere Krankheit ausgelösten, alternativen Geisteszustand gewalttätig geworden sind.
Der Unterschied liegt hier jedoch darin, dass diese Vorurteile am Ende nicht (eindeutig) bestätigt werden
. Je nach Interpretation bleibt es allerdings weiterhin möglich.

Eine weitere mögliche Diagnose könnte eine durch ihr Trauma ausgelöste, schizophrene Psychose sein.
Diese sind unter anderem durch auditorische (im Spiel hören wir häufig das typische Flüstern) und visuelle Halluzinationen gekennzeichnet, die bis zu einem völligen Realitätsverlust führen können.
Eine daraus resultierende Theorie ist es deshalb, dass Frans Symptome durch die falsche Medikation bloß verstärkt werden („eine große Gehirnverwirrung“, wie Fran es bei der späteren Aufklärung der Missetaten von Krankenhausleiter Doktor Oswald beschreibt).

Die Entwickler:innen haben somit möglicherweise versucht, die Symptome schizophrener Psychosen mithilfe des Effekts der Pillen zu veranschaulichen. Wirklich nachfühlen können Nicht-Betroffene eine solche Erkrankung trotz dieser Spielmechanik jedoch nicht, denn im wahren Leben sind solche Halluzinationen natürlich nicht derart zu kontrollieren und nach Bedarf abzurufen.
Darüberhinaus sind hier, wie in Horrorspielen üblich, bloß die extremsten Formen der Symptome abgebildet, um den bereits erwähnten Schockeffekt zu erreichen.

Auch Depressionen und katatonische (das heißt bewegungs- und/oder emotionslose) Zustände sind ein Symptom dieser Krankheit und werden in Fran Bow metaphorisch repräsentiert.
Letzteres wird besonders deutlich, wenn Fran plötzlich zu einem Baumstamm mutiert und wir uns nicht mehr in der Spielwelt umherbewegen können.
Depressionen hingegen scheinen allgegenwärtig und werden, überraschend treffend, in Form von fiktiven Lebewesen namens „Kamalas“ dargestellt: schwarze Schatten, die beinahe jeder Person, der wir im Spiel bewegen, nicht von der Seite weichen und einem die Lebensfreude rauben.

Fran Bow (2015)

Letztendlich bleibt offen, ob all das, was Fran im Laufe des Spiels erlebt, bloß Halluzinationen bzw. von ihrem kaum zu bewältigenden Trauma provozierte Versuche sind, der Realität zu entfliehen und die als Antagonisten skizzierten Personen wie Doktor Oswald eigentlich nur ihr Bestes im Sinn haben oder ob sie sie wirklich für ihre böswilligen Zwecke missbrauchen will und sie gut daran tut, vor all dem zu fliehen (was sie am Ende, zumindest in der uns gezeigten Version ihrer Realität, auch schafft).
Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.

In Bezug auf die Repräsentation von psychischen Krankheiten, schafft Fran Bow zumindest eines, was weder Cry of Fear, noch Rise of Insanity geschafft haben: Es erzeugt ein Gefühl von Hoffnung, aus der Hölle, die psychische Krankheiten für Betroffene oft bedeutet und Horrorspielen scheinbar endlosen Stoff für Gruseleffekte liefert, ausbrechen zu können.
Als Fran sind wir der Krankheit und ihren Konsequenzen nicht vollkommen ausgeliefert, sondern können unsere Realität ins Positive umwandeln – zumindest ist das eine Möglichkeit, die Geschichte zu interpretieren.

"Wahnsinn" als Spielmechanik

"Sanity"-Anzeige in Amnesia: The Dark Descent (2010)

Thematisieren Horrorspiele psychische Krankheiten nicht direkt im Plot, greifen sie es nicht selten als Spielmechanik auf.
Games wie Visage (2020) oder Amnesia: The Dark Descent (2010) fügen dem Spielerlebnis eine weitere Ebene hinzu, indem bestimmte Umstände wie Dunkelheit oder paranormale Begebenheiten die Spielfigur sozusagen in den Wahnsinn treiben.

In Amnesia: The Dark Descent sorgt dies dafür, dass das Bild verschwimmt und es uns zunehmend schwerer fällt, uns fortzubewegen, während sich in Visage die gesamte Atmosphäre verändert: Bedrohliche Geräusche nehmen drastisch zu, unsere Umgebung erscheint immer gefährlicher und letztendlich greift uns eines der Geisterwesen an, um uns in diesem “Moment der Schwäche” zu töten.
In beiden Spielen bleiben wir bei Verstand bzw. können ihn wiederherstellen, indem wir nah an einer Lichtquelle bleiben – Visage treibt den Vergleich zu einer tatsächlichen psychischen Erkrankung jedoch so weit auf die Spitze, dass wir uns ab einem bestimmten Punkt nur noch mit Pillen behelfen können, um dem Wahnsinn zu entkommen.
Dass eine solche Darstellung nicht der Realität entspricht und einzig und allein dazu gedacht ist, die Spieler:innen nervös zu machen, bedarf vermutlich keiner weiteren Erläuterung.

Simulationen von psychischen Krankheiten

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf eine Art Subgenre von Unbehagen auslösenden Videospielen, welche keinen klassischen Handlungsrahmen besitzen, sondern einzig und allein daraus bestehen, psychische Krankheiten zu simulieren.
So haben Entwickler:innen unter anderem bereits Zwangsstörungen, Depressionen und Schizophrenie visualisiert, mit dem Ziel Spieler:innen die Welt aus den Augen von Betroffenen zu zeigen.
Während Milk Inside a Bag of Milk Inside a Bag of Milk (2020), ein Spiel über ein Mädchen mit einer Vielzahl von Symptomen, welches jedoch überwiegend eine Zwangsstörung veranschaulicht, noch ganz klar als psychologisches Horrorgame gekennzeichnet ist, schreibt ChoppyPine, der oder die Schizophrenia Simulation (2018) entwickelt hat, über sein/ihr Spiel Folgendes:

“This is not a horror game. No… It is accurate simulation of schizophrenia based on empirical data gathered by psychologist and psychiatrists.
My goal was to create an accurate atmosphere and perception of reality of schizophrenic. During the game you will come through all symptoms of progressively aggressive schizophrenia: anxiety, paranoia, nightmares, delusions, amnesia, sound and visual hallucinations.
Schizophrenia may have different symptoms. This game recreate rare schizophrenia with almost all possible symptoms to show the whole problem of the disease. 
Of course, comparing to the real schizophrenia all simulations are poor representation.”

Die Tatsache, dass ChoppyPine selbst erwähnt, es handle sich nicht um ein Horrorspiel, verrät, dass es aus dem Raster herausfällt und genau genommen nichts in diesem Beitrag zu suchen hat.
Schaut man sich das Gameplay jedoch an, wird klar, dass es viele typische Spielelemente des Genres beinhaltet und, ohne den vorangestellten Hinweis gelesen zu haben, kaum von von einem Horrorspiel zu unterscheiden ist.
Der Horror liegt hier also in der Natur der Sache, in der ganz gezielt auf Realismus ausgelegten Darstellung der Symptome, die (leider) schon völlig ohne Einordnung in eine wertende, möglicherweise stigmatisierende Story schrecklich genug sind.

Appell für einen bedachten Umgang

Abschließend sei gesagt, dass es in diesem Beitrag, anders als in anderen Ausgaben von I’m Not Scared, nicht darum geht, aufzuzeigen, ob und wie die genannten Spiele es schaffen, den gewünschten Horroreffekt zu erzeugen.
Dieser Beitrag diente dem Zweck, darauf aufmerksam zu machen, dass ein sensibler, nuancierter Umgang mit der Darstellung von psychischen Krankheiten in Horrorspielen vonnöten ist, auch wenn das Streben nach möglichst schockierenden, furchteinflößenden Spielelementen einer realitätsgetreuen, wertfreien Repräsentation oft zuwiderläuft.
Es ist darauf zu achten, den Angstfaktor nicht auf Kosten von Betroffenen zu verstärken und darauf zu vertrauen, dass eine wirklichkeitsnahe Abbildung von psychischen Krankheiten ohne Stigmatisierung ein andersartiges, allerdings nicht weniger eindrückliches Unbehagen auslösen kann.

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