März 24, 2023

Film-Tagebuch Nummer 4: Broker von Hirokazu Koreeda

Gesehen am 21. März 2023.

Der vierte Tagebuch-Eintrag lässt sich mit einer Anekdote zu dem Kinobesuch des ausgewählten Filmes beginnen: Als sich das Licht im Saal dimmte und die Projektion über die Leinwand flimmerte, ereilte mich eine plötzliche Müdigkeit. Eine Müdigkeit, die während der ersten halben Stunde in mehrere Sekundenschlafe mündete. Doch wie der iranische Regisseur Abbas Kiarostami einst äußerste: ,,I prefer the films that put their audience to sleep in the theater”.

Gemeint hat der Filmemacher nicht, dass man das Kino ausschließlich als teure Bettvariante nutzen muss. Es geht um jene Filme, die einen in gewisse Trance bringen und ein stimmiges Wohlgefühl im Körper auslösen. Dies kann man auch von den Werken des japanischen Autorenfilmers Hirokazu Koreeda behaupten, der mit seinen menschlichen Themen auch an das Schaffen Kiarostamis erinnert – das neuste Werk Broker – Familie gesucht mag ich euch in meiner kleinen Kritik nun vorstellen.

Eine Video-Präsentation des Regisseurs bildet das Feature zu diesem Eintrag. Neben einem groben Überblick über das bisherige Wirken Koreedas stelle ich Euch auch Thematik und Motivik seiner Filme anhand Szenenbeispiele vor. Anschaubar – wie immer – am Ende der Filmrezension! 

Broker (브로커, KOR 2022, Hirokazu Koreeda)

Das Verbrecher-Duo Sang-hyun (Song Kang-ho) und Dong-soo (Gang Dong-won) stehlen Babys aus Babyklappen, um diese an eine Familie mit Perspektive weiterverkaufen zu können. Eines Nachts gibt auch die verzweifelte Mutter So-young (Lee Ji-eun) ihren Sohn in eine dieser Boxen. Doch sie kommt den Kriminellen auf die Schliche und beschließt, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Auf der Suche nach besseren Eltern für das Kind begeben sich die drei auf eine längere Reise durch Korea. Auf der unerwarteten Reise lernen sie nicht nur neue Leute und sich selbst besser kennen, sondern werden auch von der Polizistin Su-jin (Bae Doona) und ihrer Kollegin verfolgt. Und einen Mord gibt es da auch noch zu klären…

© Plaion Pictures

Humanist und Geschichtenerzähler

Regisseur Hirokazu Koreeda gilt als der humanistische Filmemacher des japanischen Kinos. Mit dem 2018 erschienen Shoplifters konnte er sich durch den Gewinn der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen von Cannes sowohl bei Publikum als auch Kritikern endgültig in den filmischen Olymp manövrieren. Koreeda, der ebenso als Romanautor tätig ist, kann schon eine Fülle an Werken vorweisen und durch seinen internationalen Erfolg durfte er schließlich auch in Übersee tätig werden: Mit La Vérité – Leben und lügen lassen drehte der Japaner einen Film in englischer und französischer Sprache. Mit dem neusten Eintrag in seine Filmografie präsentiert er nun eine Geschichte, in denen ein ausschließlich südkoreanischer Cast agieren darf.

Hirokazu Koreeda wird manchmal in einer Riege mit den großen humanistischen Regisseuren der Filmhistorie genannt. Der legendäre Kritiker Roger Ebert verglich ihn beispielsweise mit Ingermar Bergman oder Ozu Yasujirō. Markenzeichen seiner Geschichte sind die naturalistische Ästheik und Themen wie Erinnerungen, Verlust und insbesondere das zwischenmenschliche Untereinander – oftmals in Familien(-verbünden).

Broker beginnt als lupenreiner Thriller: Das kriminelle Duo entführt ein Kind aus einer Babyklappe und möchte es für eine Menge Geld verkaufen. Verfolgt werden sie unterdessen von der Polizei, die sie nach einiger Zeit abhören. Wer sich mit dem Schaffen des Regisseurs auseinander gesetzt hat, wird bereits ahnen, dass dies nicht der Weg der Geschichte sein dürfte.

© Plaion Pictures

Anders als andere Road-Movies

Der Film um Sang Kang-ho, der den Prix d’interprétation masculine in Cannes für seine Darbietung erhielt, verlässt schnell die Pfade eines Kriminalfilmes. Spätestens als nicht nur die junge Mutter So-young mit auf dem Road-Trip unterwegs ist, sondern sich auch ein weiteres Kind in den Wagen der ungleichen Truppe verirrt, beginnt die sympathische Suche nach einer Familie – und nach der Suche seiner Selbst.

In den Händen einer US-amerikanischen Produktion würde diese Prämisse schnell in einer plumpen Comedy-Tortur enden. Regisseur Koreeda hingegen beweist mit seinem zarten Halt erneut filmisches Fingerspitzengefühl. In den Werken des Filmemachers wird stets auf sensitive und sensible Weise das Innenleben aller Protagonisten erkundigt und in diese Reihe schließt sich auch Broker nahtlos an. Das Interesse an den Figuren im Film wirkt stets aufrichtig und gerät durch die detailreiche Inszenierung nie aufgesetzt. Der Regisseur setzt bei seiner Fiktion auf einen dokumentarischen Stil. In einem Interview verriet Koreeda, dass er bei seiner Arbeit mit Kindern auf eine spontane Herangehensweise setzt, bei denen er den Jungdarstellern den Text erst während dem Shooting verrät. Bemerkbar macht sich das an dem jungen Hae-jin (Lim Seung-soo), dessen Darbietung eines euphorischen Kindes jenseits aller fiktionalisierten Sehgewohnheiten verläuft.

Das Feingefühl einer Familie

Die Synergie der zufällig entstehenden Familie ist die große Stärke des Filmes, die nicht nur an einer überdeckend starken Performance aller Schauspieler:innen liegt, sondern sich auch durch das subtile Potential für Emotionalität entwickelt. Koreeda Film ist per se kein emotionaler Film, doch durch das naturalistische Filmerlebnis kann er zu einem werden. Durch die Details in seiner Inszenierung und das ambivalente Verhandeln mit Moralitäten in der Geschichte vermag es Broker, Verständnis und Empathie für all seine Charaktere aufzubringen, ohne diese mit Sturheit auszuerzählen.

Wie in vielen seiner Werke behandelt die Story von Broker auch ein sozialgesellschaftliches Konstrukt, bei denen die Handelnden eher der unteren Gesellschaftsschicht angehören. Koreeda kommentiert dieses Unterfangen aber nicht mit eindimensionalen Lösungsvorschlägen, sondern lässt sie in den charmanten, klugen und humorvollen Dialogen mitschwingen. Zwar behandelt die Geschichte moralische Fragen wie Abtreibung und Mutterschaft, der Schleier windet sich jedoch stetig mit Sorgfalt um jene Menschen, die diese Themen aushandeln müssen. Fraglich bleibt, ob sich in dem Schaffen von Hirokazu Koreeda ein ausschließlich hoffnungsvoll-humanistischer Ton äußert oder diese fiktionalisierte Dokumentation der Menschenbanden eigentlich etwas Zynisches birgt. Solange uns der Autorenfilmer uns alle ein bis zwei Jahre mit einem sympathischen Film beglückt, sei diese Frage an den Rand gestellt. Danke, dass du geboren wurdest.

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Fazit

7/10

Mit bekannten Motiven, einem harmonischen Cast und der gewohnten Detailverliebtheit inszeniert Humanist Hirokazu Koreeda eine sympathische Odyssee der zufällig entstandenen Familie, die in subtilen und kleinen Momenten ihre Emotionalität entfachen kann.

Hirokazu Koreeda:
Eine Video-Präsentation

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