Von einer Verschwörung zur anderen

Eigentlich begann der Tag ganz normal. Weil so ziemlich jeder meiner Tage „normal“ ist. Irgendwie ödete mich diese ganze Normalität an. Mein Alltag war berechenbar und ich wusste immer, was als nächstes passieren würde.

Also formt sich eine Idee in meinem Kopf.

Warum nicht mal was wagen? Warum nicht mal unvoreingenommen vor die Tür gehen und Orte besuchen, an denen ich mich sonst nie herumtreibe? Warum nicht mit Leuten sprechen, denen ich sonst nicht mal einen zweiten Blick schenke?

Ja, so will ich es machen. Heute soll alles anders sein. Ich fühle mich eingeengt und will mich befreien. Ich will wissen, was auf der ganzen Welt vor sich geht und ich will wissen, was mir bisher unbekannte Menschen denken.

Mit diesem Vorhaben schließe ich die Tür auf und verlasse das Haus. Doch statt wie gewöhnlich ins Auto zu springen und ins Innere der Stadt zu fahren, sehe ich mich mal in meiner Nachbarschaft um. Prompt verschlägt es mich an einen mir völlig fremden Ort: den Park.

Normalerweise meide ich diesen Ort aus diversen Gründen. Zum einen sind mir da zu viele Jogger, die pures Leid auszuschwitzen scheinen. Zum anderen laufen denen erschreckend gut gelaunte Seniorengruppen entgegen, die bewaffnet mit neonfarbenen Stirnbändern und Walkingstöcken jeden zur Schnecke machten, der eine Papierserviette in den falschen Abfalleimer entsorgt.

Im Park angekommen, werde ich gleich auf einen älteren Herrn aufmerksam, der auf einer Parkbank sitzt und in ein Taschenbuch vertieft ist. Nachdem ich überprüft habe, ob er irgendwo gefährliche Walkingstöcke versteckt hat (negativ), setze ich mich neben ihn. Entgegen all meiner üblichen Verhaltensweisen, beginne ich ein Gespräch.

„Ein schöner Tag heute, nicht wahr?“

Der Mann schaut auf und lächelt. „Absolut herrlich. Die Sonne scheint mit voller Kraft und verbreitet gute Laune.“

Das könnte erklären, warum ich heute so motiviert bin.

„Ich wünschte, jeder würde die Welt so sehen, wie wir es gerade tun.“, erwidere ich.

Er lacht kurz und laut auf, was mich erschreckt. „Das habe ich mir auch schon oft gedacht. Die meisten Leute verstehen ja nicht mal, wie unsere Welt funktioniert.“

„Na ja, das ist ja schon eher komplex alles in allem.“, sage ich stirnrunzelnd, versuche aber dennoch, die gute Stimmung aufrecht zu erhalten.

Kopfschüttelnd antwortet er: „Ich rede von grundlegenden Fakten. Dass die Erde ein Ball sein soll, ist absolut absurd und trotzdem glauben es fast alle.“

Ähm… „Was?“

Er schließt sein Buch und bedenkt mich mit einem gutmütigen und doch mitleidigen Blick. „Sie sind also auch betroffen. Doch hören Sie, Sie müssen aufwachen. Nur weil die da oben Ihnen Dinge weismachen wollen, heißt es noch lange nicht, dass sie wahr sind. Ich bin schon 71 Jahre alt, ich weiß, wovon ich rede.“

Ich blinzle überrascht. „Aber es ist nachgewiesen, dass die…“

„Papperlapapp. Diese Beweise sind alle der Fantasie entsprungen. Die Erde ist flach. Wie sonst könnten wir am Horizont keine Krümmung erkennen? Der Horizont ist immer gerade. Horizontal eben.“

„Physikalisch ist das ziemlich einfach zu erklären.“

„Weil man sich diese Erklärung ausgedacht hat, um allen Menschen weiszumachen, die Erde sei ein Ball. Was Schwachsinn ist. Wie soll denn auch das ganze Wasser, dass es nun mal auf unserer Erde gibt, auf der Erde bleiben, wenn Sie rund wäre? Das ergibt keinen Sinn. Diese Physik ergibt keinen Sinn. Die Erde ist flach. Wie ein Pfannkuchen.“

Ich muss zugeben, dass ich wohl noch immer ziemlich blöd aus der Wäsche schaue, als eine junge Frau mit ihrem Hund an der Leine neben uns tritt.

„Entschuldigen Sie? Ich habe Ihr Gespräch im Vorbeigehen gehört und muss sagen, dass ich es nicht in Ordnung finde, was für Unwahrheiten Sie unter den unschuldigen Leuten verbreiten.“

Als die dunkelhaarige Dame dies sagt, schaut sie den Mann neben mir an. Zum Glück. Ich dachte schon, sie wäre auch so eine Verrückte, die die Welt in Frage stellt. Die Erde eine Scheibe… Wer kommt denn auf so was?

Der Flachweltler neben mir seufzt traurig. „Sie sind also auch derart verblendet.“

Ich ergreife wieder das Wort. „Verzeihung, aber es ist nun mal seit Jahrhunderten ein Fakt, dass die Erde rund ist. Es gibt Beweise. Die Raumfahrt. Die Tag- und Nachtzyklen. Die Mondphasen. Eine Kugel ist eine physikalisch logische Form für einen Planeten.“

Die Brünette nickt bekräftigend und füttert ihren nervösen Hund mit Hundekeksen. „Richtig. Außerdem ließe sich auch sonst nicht erklären, wie die Erde hohl sein kann und all die Außerirdischen sich darin eine zweite Welt in unserer aufgebaut haben.“

„Ja! Moment… Was? Die Erde ist nicht hohl. Es gibt Erdschichten, einen Erdkern.“ Sind denn jetzt alle verrückt geworden?

„So ein Quatsch. Die Erde ist hohl.“ Der Hund scharrt mittlerweile ein Loch neben der Parkbank.

„Junges Fräulein, mir ist klar, dass die Schulbildung große Lücken aufweist, aber eine hohle Erde ist wirklich Unsinn. Die Erde ist eine Scheibe.“

Die Frau stemmt erbost die Hände in die Hüften, während ich zwischen beiden hin und herschaue, als würde ich ein rasantes Tennis-Match verfolgen.

„Die Erde ist rund und hohl. Außerdem haben sich die Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg in ihr zurückgezogen. Wie sollte das gehen, wenn sie flach wäre? So ein Unfug.“

„Sie haben ja nicht mal von Geschichte Ahnung.“ Der Mann neben mir furcht verärgert die Augenbrauen.

„Ich würde ja sagen, sie haben nicht mehr alle Tassen im Schrank. Sie beide, sorry.“

Mit diesen Worten stehe ich auf und überlasse diese Quarkbällchen ihrer nun ziemlich hitzigen Diskussion. Sie bekommen nicht mal mit, dass ich gehe. Sogar der Hund hat sich mittlerweile eingemischt und bellt lautstark. Damit hatte ich  meine positive Stimmung dann wohl ins Nirvana geschickt. Aber wer konnte denn auch mit so was rechnen? Gleich zwei Verrückte im Park, die sich irgendwelche Geschichten darüber ausdenken, wie die Welt sein soll. Statt einfach zu akzeptieren, dass die Wissenschaft schon längst bewiesen hat, wie die Welt beschaffen ist. So was Ungeheuerliches habe ich noch nie erlebt.

Aber ich will diesen Tag noch nicht abschreiben. Es können wohl kaum alle Menschen so einen Schwachsinn denken.

Um meine Stimmung wieder aufzuhellen, verlasse ich den Park und biege ab, um zur Eisdiele zu gelangen. Ein Eis muntert mich bestimmt wieder auf. Auf Zucker ist in dieser Welt immer Verlass. Sei sie nun flach, hohl oder rosa. Auf zum Eis.

Als ich mir die Auswahl anschaue, spricht mich der Verkäufer mit einem wissenden Gesichtsausdruck an. „Was soll’s sein? Du schaust drein, als könntest du eine Extraportion vertragen.“

Er macht einen netten Eindruck. Und weil ich doch offener sein möchte, teile ich meine Gedanken mit ihm.

„Ach, ich war eben im Park und da haben sich zwei Bekloppte darüber gestritten, ob die Erde nun flach oder hohl ist. Ich hätte nicht gedachte, dass es noch immer Menschen gibt, die an simplen wissenschaftlichen Fakten zweifeln. Eine Kugel Banane und eine mit Stracciatella, bitte.“

Der Verkäufer tut wie gebeten und schaufelt das Eis aus den Metallbehältern. „Wow, das ist ja echt schräg.“

„Nicht wahr? Die Frau, die auf einer hohlen Welt zu leben scheint, meinte sogar, in der Erde hätten sich Hitler & Co. versteckt.“

Als der Verkäufer die Eiskugeln in die Waffel drückt, grinste er vergnügt. „Pff. Dass ich nicht lache. Jeder weiß, dass Hitler und seine wichtigsten Soldaten mit ihren Raumschiffen auf den Mond geflogen sind und dort den besten Zeitpunkt abzuwarten, um die Menschen zu befreien. Macht dann vier Euro.“

Eigentlich würde ich gerne darüber lachen, doch sein Gesichtsausdruck verrät, dass er es ernst meint. Also nehme ich mein Eis, gebe ihm das Geld und dazu noch eine Belehrung: „Niemand versteckt sich auf dem Mond. Dieser Trabant hat nicht mal eine Atmosphäre, kein irdisches Lebewesen würde dort leben können.“

„Die sind ja auch nicht unvorbereitet aufgebrochen. Die haben sich eine riesige Basis auf der Rückseite des Mondes aufgebaut.“

„Der Mond ist einfach nur der Mond. Er wurde erforscht. Dort gibt es kein Leben. Außerdem wäre Neil Armstrong doch wohl etwas aufgefallen als er dort war“

„Eben nicht“, widerspricht der Eisverkäufer mit erhobenem Waffeltütchen. „Die sind ja nie auf dem Mond gelandet. Die Mondlandung war fake. Da würden sie sich nie hin trauen und haben den ganzen Kram einfach im Filmstudio abgedreht. Das war so unglaubwürdig. Hast du gesehen, wie die Fahne geweht hat? Da gibt es gar keinen Wind, wegen der fehlenden Atmosphäre, wie du selbst sagst. Also klarer Beweis für die Aufnahme im Studio.“

Darauf fällt mir nichts Vernünftiges ein. Ich schaue den Kerl einfach nur verdutzt an, während mir das schmilzende Eis langsam auf den Daumen tropft. Was ist denn nur in die Leute gefahren? Es geht mir einfach nicht in den Kopf. Und weil mir keine angemessene Reaktion auf das Geschwafel des Eisverkäufers einfällt, drehe ich mich um und ergreife die Flucht. Familien mit Kindern sehen mich verwirrt an, weil ich laufe, als wäre der Teufel hinter mir her, aber es ist mir egal. Ich will doch nur einen netten Tag mit netten Leuten und netten Gesprächen. Warum sind denn alle plötzlich so… bescheuert?

Um mich wieder zu beruhigen, schraube ich mein Schritttempo runter und esse mein Eis auf. Hoffentlich hebt der Zucker wirklich meine Laune.

„Möchten Sie vielleicht unsere Petition unterschreiben?“

Überrascht schaue ich mich nach der hellen Stimme um, die mich aus den Gedanken gerissen hat. Da sitzt eine Frau, fast noch ein Mädchen, an einem Tisch, an dem ein Banner hängt mit der Aufschrift „Schützt euch und die Umwelt“. Auf dem Tisch selbst stapeln sich zahlreiche Flyer mit selbiger Aufschrift.

Da ich grundsätzlich für die Rettung der Umwelt bin, bleibe ich stehen. Klimaschutz ist wichtig. Egal, ob die Erde dabei flach ist und die Nazis jederzeit vom Mond aus angreifen können.

„Für was genau setzt ihr euch denn ein?“, frage ich also interessiert.

Das Mädchen scheint erleichtert und greift nach einem Flyer, den sie mir umgehend in die Hand drückt. Sie scheint noch nicht wirklich viele von diesen Dingern an die Leute gebracht zu haben. Wahrscheinlich sind die Leute zu beschäftigt damit, Mythen um den Mond zu spinnen, um sich mal um ihre eigene Erde zu kümmern.

„Wir wollen den Einsatz von Chemtrails verbieten.“ Ihr Gesicht wirkt nun sehr euphorisch.

„Von was für Dingern?“ Noch während ich meine Frage formuliere, lese ich selbiges auf dem Flyer: „Chemtrails machen uns krank, während die Morgellons unsere DNS klauen!!!“ So viele Ausrufezeichen…

„Chemtrails. Die Kondensstreifen am Himmel sind nicht nur Flugzeugabgase. Die Regierung pumpt sie voll mit Chemikalien, Nanorobotern, Biowaffen und sonstigem Zeug, um die Menschheit zu versklaven und zu töten. Vor allem mit den Morgellons. Das ist ihre Lieblingswaffe.“

„Morge-was? Bitte sag mir nicht, dass du mir auch irgendeinen Mist für bare Münze verkaufen willst. Was ist das hier? Die versteckte Kamera? Ihr könnt jetzt rauskommen, ihr seid entlarvt!“, rufe ich mit leiser Verzweiflung in der Stimme durch die Straße.

Das Mädchen schaute mich mit großen Augen an. „Es ist wirklich so. Wenn sie das Zeug in die Luft pusten, landet alles im Regen und damit auch in unserem Grundwasser. Wir müssen sie endlich aufhalten.“

Jetzt reicht es aber. Ich werfe den Flyer zurück auf den Tisch und wende mich ab.

„Wir werden alle sterben!“, ruft sie mir noch hinterher.

„Ja, aber nicht heute.“

Meine Güte. Den Tag habe ich mir anders vorgestellt. Ganz anders. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich alles aufgezeichnet und auf YouTube hochgeladen. Wobei, wenn ich es mir recht überlege, wäre ich schlichtweg zu Hause geblieben und hätte getan, was ich immer tue.

Es muss doch irgendwo noch Menschen geben, die nicht verblendet sind. Die in derselben wissenschaftlich fundierten Welt leben, wie ich. Wo sind die nur alle hin?

Auf der Suche nach einem halbwegs vernünftigen Gespräch, setze ich mich ins nächstbeste Café. Menschen, die Tee und Kaffee trinken, möchten doch bestimmt nur in Ruhe plaudern und nicht irgendwelche Schreckensgeschichten verbreiten. So hoffe ich zumindest. An dem heutigen Tag scheint ja doch alles möglich zu sein.

Als die Bedienung mir meinen Hagebuttentee bringt, schlage ich die beiliegende Zeitung auf und stoße umgehend auf den Artikel: „Deutschland genehmigt neue Braunkohle-Abbau“, was direkt neben dem Bild einer blonden Prominenten steht, über die man sich fragt: „Kann diese Nase wirklich echt sein?“

Da muss ich irgendwie schmunzeln. „Die Probleme in diesem Land.“

Mir ist nicht mal bewusst, dass ich das laut vor mich hin gesagt habe, bis eine Frau mittleren Alters mich anspricht. „Das kann man wohl sagen. Aber wie soll es auch von einem Land erwarten, das gar kein Land ist?“

Verdattert blicke ich von meiner Zeitung auf. „Wie meinen Sie das?“

Die Frau nimmt einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und schaut mich ernst an. „Wie kann ein Land ernste Probleme bewältigen, wenn es weder legitim noch souverän ist? Deutschland hat nach dem Krieg nie einen Friedensvertrag unterschrieben, was vielen gar nicht bewusst ist. Oder vielleicht ignorieren sie es auch nur, keine Ahnung. Aber vielleicht leben sie ja gerne in der Deutschland GmbH, bei der sie angestellt sind.“

Ich habe nicht den leisesten Schimmer, wovon die Frau da redet. Dementsprechend ratlos muss auch mein Gesichtsausdruck aussehen, denn sie spricht prompt weiter.

„Sie haben es auch noch nicht durchschaut, oder? Das Lügengerüst der Eliten ist nicht schlecht, das muss man ihnen lassen. Sie wollen uns erzählen, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Nation ist wie jede andere. Nur ist das Müll. Die Elite hat eine Firma gegründet und sie Deutschland genannt, bei der wir – die wir die „deutsche Staatsbürgerschaft“ haben – angestellt sind. Aber dieses Hirngespinst kann nicht für immer aufrecht erhalten bleiben. Lügen haben kurze Beine.“

Witzig, dass gerade sie das sagt.

„Deutschaland ist also kein Land, sondern ein Unternehmen der Eliten, für die wir im Endeffekt arbeiten.“

„Richtig. Sie haben es schneller begriffen, als die meisten“, antwortet sie und lächelt mich mit dem Stolz eines Mathelehrers an, dessen Schüler endlich x gefunden hat.

„Aha“, mache ich. „Dann können wir ja wenigstens froh sein, dass die Deutschland GmbH unsere Kranken- und Rentenversicherung garantiert.“

Da richtet sie sich erschrocken auf und der Stolz verschwindet aus ihrem Blick. „Das ist ja auch alles nur Lug und Trug, um uns…“

„Jaja.“ Mehr sage ich nicht mehr, werfe das Geld für den Tee auf den Platz und ergreife – mal wieder – die Flucht.

Unfassbar. Diese Spinner sind echt überall. Dabei habe ich die böse Befürchtung, dass es das noch nicht gewesen ist für heute. Dieser verdacht bestätigt sich spätestens als mich jemand anspricht und fragt:

„Haben Sie sich schon impfen lassen?“

Ich will mir den jungen Mann genauer ansehen, um herauszufinden, mit wem ich es zu tun habe. Doch dazu komme ich gar nicht, weil er einen immens überdimensionalen Aluhut auf dem Kopf trägt, der mich zu sehr ablenkt. Ist das Mode oder Wahnsinn?

„Haben Sie schon eine Impfung bekommen?“, wiederholt er mit Nachdruck.

Ich habe keine Lust auf noch so einen verstrahlten Irren und das zeige ich ihm auch. „Warum? Weil die Impfung böse ist und mich umbringen will? Weil böse Morgellons meine DNS manipulieren und die Elite mich unterwerfen will?“

Da strahlt er vor Freude und reißt eine Hand hoch, um mich abzuklatschen. Unnötig zu erwähnen, dass ich mich nicht rühre. „Hey! Du bist ja doch kein Schlafschaf. Sahst ganz danach aus.“

„Was ist denn jetzt schon wieder ein Schlafschaf? Verstecken die sich auch in der hohlen Erde?“

„Hä, nein. Alter, das sind die ganzen planlosen Deppen, die nicht checken, dass die Impfung uns alle krank macht. Dass Corona nur eine Masche der Regierung ist, um uns klein zu kriegen. Ich dachte du wärst auch einer von denen, aber du bist klüger als du aussiehst.“

Ab einem gewissen Grad muss man die Menschen doch medikamentös behandeln, oder? Bis zu welchem Maß ist Verrücktheit denn eigentlich ungesund? Das musste ich zu Hause direkt mal googlen. Diesem Jungspund hier kann vielleicht noch geholfen werden. Es sei denn, er hat eine Impfung bekommen, die gegen Logik immunisiert. Doch diese Aufgabe, ihn ins Leben zurückzuholen, liegt heute nicht bei mir. Meine Batterie ist für heute aufgebraucht. Um ihn also loszuwerden, regiere ich also auf die einzige Art, die mir in dem Moment einfällt:

„Mäh“, blöke ich.

Es ist Zeit, nach Hause zu gehen. Ich weiß nicht, wo ich hier rein geraten bin, aber es gefällt mir nicht und ich will meine langweilige Normalität wieder zurück. Ich beschleunige also meine Schritte und kann schon fast mein Wohngebäude am Ende der Straße erkennen als ich im Augenwinkel bemerke, dass ein kleines Mädchen so weit aus ihrem Kinderwagen ragt, dass es droht, herauszufallen. Auf dem Boden, knapp außerhalb seiner Reichweite, liegt ein Plüschpferd, welches es zu erreichen versucht. Ohne nachzudenken gehe ich in die Hocke, hebe das Pferd auf und lege es dem Kind in die Arme. Das Kind strahlt zufrieden und umklammert sein Pferdchen. Wenigstens Kinder sind noch unschuldige Wesen, die einem keinen gequirlten Mist verzapfen wollen.

Im nächsten Moment wird der Kinderwagen einen Meter zurückgerissen und die Mutter hinter dem Wagen, die vorher noch in ihr Smartphone vertieft war, schreit mich entsetzt an.

„Was tun sie da? Hände weg von meiner Tocher!“

Ich nehme friedfertig die Hände hoch. „Entschuldigung. Sie wollte ihr Stofftier, das auf dem Boden lag und wäre deswegen fast aus dem Wagen gefallen. Ich wollte nur helfen.“

„Helfen? Sie wollten sie anfassen, sie Perverser!“

„Also bitte, ich habe ihr nur ihr Plüschtier gegeben.“

„Sie wollten sie entführen! Das seh ich doch!“

Langsam hatte ich echt die Schnauze voll. Ist irgendwo eine Anstalt aufgebrochen worden, dass jetzt die Straßen von Verrückten geflutet werden?

„Ach, wissen Sie was? Sie haben Recht. Ich wollte sie erst entführen und dann wollte ich ihr Blut trinken, weil ich ein Vampir bin und nur so tagsüber in der Sonne wandeln kann. Da haben Sie mich wohl auf frischer Tat ertappt.“

„Sie Widerling! Sie sind einer von denen! QAnon weiß genau, was sie tun. Sie werden bald alle hochgenommen.“

Das ist mir jetzt wirklich zu bunt. Ich fühle mich, als wäre ich in einer Parallelwelt gelandet. Die Frau hat mir tatsächlich den Rest gegeben. Wie von der Welt geohrfeigt, drehe ich mich um und gehe nach Hause. Dabei kann ich noch froh sein, dass sie nicht die Polizei gerufen hat. Wahrscheinlich sind diese Kinderbluttrinker auch Teil der Deutschland GmbH, weswegen sie als erkenntnisreiche und weitblickende Person der staatlichen Exekutive nicht über den Weg traut. Ich glaube, diese Menschen sind wirklich alle aus derselben Anstalt geflohen.

Als ich meine Wohnungstür erreiche, stürme ich ins Innere und verriegle die Tür gleich zwei Mal hinter mir. Erst dann kann ich erleichtert aufatmen.

Wahnsinn. Dieser ganze Tag war der absolute Wahnsinn.

Nie wieder will ich so etwas erleben und schwöre mir deswegen, meine Normalität nicht mehr für selbstverständlich zu nehmen.

Moral von der Geschichte:

Wir alle leben in eigenen Bubbles. Wir formen unser Leben, unseren Alltag, sogar uns selbst nach unseren Vorlieben, unserem Umfeld und was uns sonst beeinflusst. Wenn wir zum Beispiel großer Fan und sogar Verfechter der Demokratie sind, wird sich vermutlich kein einziger Diktator auf unserer Freundesliste wiederfinden. Derlei Beschränkungen begrenzen sich aber nicht nur auf politische oder soziale Phänomene, sondern finden sich in so gut wie allen Gebieten unserer Welt.

Wo dies ganz besonders deutlich wird ist jedoch das Internet. Hier werden diese Bubbles überall sichtbar. Außerdem sind sie ein fruchtbarer Nährboden für Verschwörungstheorien. Dort kommunizieren „kleine Splittergesellschaften“, die sich untereinander austauschen und sich so immer mehr in ihren Glauben reinsteigern können, weil niemand innerhalb dieser Bubble widerspricht. Somit häuft sich der Zuspruch, man bestärkt sich gegenseitig immer weiter, bis man sogar den Bezug zur Realität verliert. Es spitzt sich zu wie in einer Spirale. Menschen innerhalb dieser Bubbles vertrauen nur noch auf Informationen, die mit ihren Überzeugungen übereinstimmen und verschmähen öffentliche Quellen.

Die Bubble stellt eine Art geschützten Raum dar. Hier herrscht Einigkeit und Zustimmung. Niemand widerspricht. Das Gefühl der Unterdrückung von außen und auch das der Gemeinsamkeit innerhalb der Bubble, verstärkt den bereits bestehenden Zusammenhalt. Man fühlt sich wohl, weil man unter Gleichgesinnten ist, die einen sogar unterstützen. Warum also noch zweifeln? Warum die Meinung anderer zulassen, wenn sie doch so unbequem ist?

Was dystopisch klingt, ist leider schon längst Realität. Immer mehr Verschwörungsmythen werden laut und erhalten immer mehr Zulauf. Zusätzlicher Zunder für dieses Phänomen sind unsere Algorithmen, die uns kaum noch aus unserem Trott herauslassen, sondern diesen immer weiter antreiben, wenn wir nichts aktiv dagegen unternehmen. Dies tun sie nicht aus Böswilligkeit, sondern weil es schlichtweg die Funktionalität von Algorithmen ist.

Deswegen ist es immer wichtig, Quellen zu prüfen. Man darf nicht alles glauben, was man liest oder was man erzählt bekommt, nur weil einem gefällt, worum es geht. Man sollte stets kritisch bleiben.

Außerdem ist Offenheit von großer Bedeutung. Man sollte niemanden mit der eigenen Meinung erschlagen, aber doch immer im Austausch bleiben und fehlerhafte Theorien auf ebendiese Lücken hinweisen.

Die obige Geschichte soll also nicht aussagen, dass in die fremde Welt hinauszugehen eine schlechte Idee ist. Im Gegenteil. Sie soll dazu beitragen, dass wir uns öfter in diese Welt und aus unserer eigenen Bubble trauen. Es ist wichtig, Unwahrheiten zu berichtigen und Wissen stark zu machen.

Darauf einen Hagebuttentee.

 

Flache Erde

 

 

Hohle Erde

 

 

QAnon

 

 

Was hälst du von diesen oder ähnlichen Verschwörungsmythen?

Hier kannst du dein eigenes Wissen auf die Probe stellen

P.S.: Falls über die bisherigen Einblicke und Videoverweise hinaus noch weiteres Intresse besteht und du wissen willst, was vor allem in Internetforen (quasi eine manifestierte Form von Bubbles) passiert, hier eine kleine Buchempfehlung: